Interview mit Jens Büscher, Amagno, zu ECM in der Cloud
Als Jens Büscher 2010 Amagno gründete, hat er davon geträumt, dass digitale Prozesse als ECM in der Cloud eine führende Rolle einnehmen. Im Interview berichtet er, wie er die Verwirklichung seines Traums nun verfolgen kann. Dabei geht er auch auf künftige Entwicklungen, Kosten, Veränderungen im ECM-Markt und die Corona-Auswirkungen ein.
Wie viele Kunden nutzen inzwischen das SaaS-Angebot von Amagno und wie viele setzen noch auf On-Premises-Lösungen?
Büscher: Schon seit Längerem geht der Trend in die Cloud. Der Digitalisierungsschub während der Corona-Krise hat dies nochmals verstärkt. Und auch bei uns ist das Umdenken der Unternehmen deutlich spürbar. In den vergangenen Jahren war die Nachfrage beider Modelle immer recht ausgewogen. Doch seit knapp zwei Jahren wird der Turn Around in Richtung SaaS auch bei unseren Absätzen sehr stark deutlich. Rund 60 Prozent unserer Kunden entscheiden sich für die Cloud und 40 Prozent wählen die On-Premise-Variante. Letztere wird aber auch gern als Private Cloud verwendet, sodass unsere reinen On-Premises-Lösungen nur noch knapp 20 Prozent ausmachen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Cloud-Befürworter außerdem Tag für Tag stark zunimmt. Als ich Amagno 2010 gründete, habe ich mir erträumt, dass digitale Prozesse als ECM in der Cloud eine führende Rolle einnehmen werden. Diese positiven Entwicklungen jetzt endlich hautnah zu verfolgen und mitzuerleben, ist grandios.
Wo liegen die Vorteile von ECM-Cloud-Lösungen?
Büscher: Flexibles und mobiles Arbeiten hat längst in unserer Gesellschaft Einzug erhalten. Wir wollen unsere Informationen schnell zu jeder Zeit an jedem Ort und mit jedem Gerät abrufen können, ohne irgendwelche Aktenschränke durchforsten zu müssen. Gerade hier zeigte die Corona-Krise die Grenzen der analogen Arbeitsweise und die großen Mehrwerte der ECM-Lösungen in der Cloud. Da die Arbeitsabläufe in den Unternehmen immer komplexer und vielschichtiger werden, steigen auch die Anforderungen an Softwaresysteme: Sie sollen die Mitarbeiter bei ihren täglichen Aufgaben unterstützen und dabei möglichst intuitiv zu bedienen sein. Eine cloudbasierte ECM-Lösung kommt da wie gerufen.
Gibt es auch Nachteile?
Büscher: Nachteile einer Cloud Lösung finden sich in der Praxis eher im Bereich von Schnittstellen zu historischen Fremdsystemen, die keine eigenen modernen Schnittstellen besitzen. Oder proprietäre Lösungen, die in einem Unternehmen entstanden und nicht Internet-tauglich sind. Der Betrieb über eine langsame Internetverbindung erschwert zudem den Betrieb einer Cloud-Lösung. Die Vorteile überwiegen aber deutlich. ECM aus der Cloud ist sofort einsatzbereit, kann oft über Abteilungsbudgets gestartet werden und gilt nicht als Investition, sondern als Betriebskosten. Dagegen ist der Start eines ECM mit einer On-Premise-Lösung ein umfangreiches Projekt. Oft werden die »einmaligen Kosten« einer solchen Lösung hervorgehoben. Das ist aber falsch. Hardware und Software müssen beschafft werden. Der Betrieb ist über Sicherheits- und Backupstrategien abzusichern. Dies erfordert dauerhaftes Fachpersonal. Die notwendigen Software-Lösungen für Betriebssystem und Datenbanken haben eine begrenzte Supportdauer und bedürfen einer Neuanschaffung nach einigen Jahren. Ist die Hardware erschöpft, muss wieder eine Investition durchgeführt werden. In Summe sind diese Kosten in der Regel teurer, als eine Cloud-Lösung und die Einführung dauert nicht selten Monate. Der sofortige Start und die klaren transparenten monatlichen oder jährlichen Kosten sind bei einer Cloud-Anmeldung oftmals die ausschlaggebenden Aspekte.
Wann empfehlen Sie welche Nutzungsart?
Büscher: Leider lässt sich die Frage gar nicht so pauschal beantworten. Wie bei so vielem lautet die Antwort: »Es kommt darauf an.« Besonders kleine und mittelständische Unternehmen entscheiden sich gern für die Cloud-Variante, weil sie selbst keine eigene IT haben und ihnen deshalb die Auslagerung administrativer Aufgaben sehr gelegen kommt. Viele Kunden führen außerdem an, dass die Einhaltung rechtlicher Anforderungen durch die Cloud-Provider leichter von der Hand gehen, da ihnen aufgrund ihrer Spezialisierung mehr Möglichkeiten hinsichtlich Sicherheit und Zertifizierung geboten sind. Kunden, die selbst über eine breite IT-Infrastruktur verfügen und bereits viele Anwendungen darüber abwickeln, entscheiden sich aufgrund der bestehenden Ressourcen oftmals für die On-Premise-Variante. Oder weil sie Sicherheitsbedenken bei der Auslagerung ihrer Daten hegen. Viele vergessen bei den Überlegungen jedoch oft, dass insbesondere in Deutschland die Rechenzentren per se hohe Sicherheitsstandards erfüllen, die sich nach den im Rechtsgebiet der EU geltenden Richtlinien richten. Zertifizierungen wie etwa ISO 27001 und ISO 9001 garantieren, dass die Daten der Unternehmen auf den dortigen Servern ordnungsmäßig geschützt sind.
Allgemeine und Amagno-eigene Entwicklungen im ECM-Cloud-Bereich
Welche Weiterentwicklungen sehen Sie bei ECM-SaaS-Angeboten allgemein und speziell bei Amagno?
Büscher: Der immer stärker werdende Digitalisierungstrend und die steigende Akzeptanz von Cloud-Diensten ebnen den Weg für viele neue Möglichkeiten. Laut einer aktuellen Bitkom-Studie sind bereits 86 Prozent der Unternehmen in der Cloud und die Tendenz ist steigend. Dabei sind ECM-Lösungen nicht mehr nur ausschließlich für die Verwaltung von Dokumenten vorgesehen, sondern finden auch zunehmend ihren Weg in Fachabteilungen, vorbei an dem digitalen Posteingang und der Rechnungsverarbeitung. Insbesondere die Verwendung von flexiblen und offenen Cloud-Lösungen wird die stärkere Einbindung in abteilungs- und unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse in nächster Zeit massiv begünstigen. Diese Integration erleichtert den Anwendern nicht nur ihre tägliche Arbeit um ein Vielfaches, sondern führt außerdem zu einer Vereinfachung und Beschleunigung der Geschäftsprozesse.
Wie sieht die Entwicklung von Amagno in diesem Umfeld aus?
Büscher: Unsere eigene Roadmap der nächsten Jahre ist klar: Die hohe Akzeptanz von Cloudlösungen liefert ein sehr hohes Daten- und Benutzeraufkommen. Aus diesem Grund fokussiert sich Amagno stark auf die technologische und organisatorische Skalierung. Amagno wird zur Cloud- und Abo-Company. Anschließend optimieren wir Amagno für die Ansprüche in der Cloud-Ökonomie mit einer umfassenden neuen App für die gängigen Endgeräte und fokussieren unsere Lösung auf den Integrationsansatz durch Kunden und Partner, um ein Höchstmaß an individueller Erweiterbarkeit für die unternehmensspezifischen Besonderheiten zu ermöglichen. Ein erster Schritt dafür wird der Solution Store werden, der kostenfrei die Bereitstellung von fertigen Lösungen für Workflows oder Schnittstellen ermöglichen wird. Anschließend planen wir deutliche Veränderungen im Bereich unserer Workflow-Technologien, damit Amagno das führende und bestmöglich einzusetzende Werkzeug für unternehmensübergreifende Workflows wird.
Amagno ist im Mai dieses Jahres mit seiner Cloud-Infrastruktur vom eigenen Rechenzentrum zu Microsoft Azure umgezogen. Was waren die Gründe dafür und welche Auswirkungen hat dies auf die Anwender?
Büscher: Schon lange hatten wir diesen Schritt geplant, um die notwendige Skalierung – national und international – und die erweiterte Sicherheit in der Cloud zu gewährleisten. Doch so ein Umzug muss wohl überlegt und gut geplant sein, da er einen immensen Aufwand mit sich bringt, beispielsweise in den berechtigten Zustimmungen der Auftragsdatenverarbeitung. Nach langen Vorbereitungen war für uns im Mai der Zeitpunkt gekommen. Da sich insbesondere unsere »AMAGNO Business Cloud« nicht nur durch gute Skalierbarkeit, klare Strukturen und eine intuitive Benutzeroberfläche auszeichnet, sondern eben auch durch ein hohes Maß an hochmoderner Verschlüsselung, Rechtskonformität und Sicherheit, war unser Weg klar: Es musste eine Plattform her, die all diese Bedürfnisse erfüllt. Weltweit. Und bei der Microsoft Azure wurden wir fündig. Die Daten werden dort sicher und mehrfach verschlüsselt und georedundant in den neuen deutschen Microsoft Rechenzentren in Frankfurt und Berlin gespeichert. Dazu kam dann nochmal die eigene Verschlüsselung gegen unberechtigte Zugriffe Dritter im Rahmen einer Zero-Trust-Strategie. Mit dem Umzug bieten wir unseren mittlerweile über 25.000 Anwendern eine zukunftsfähige, hochsichere und leistungsfähige Plattform zur Speicherung von jeglicher Art von Dokumenten. Wir beginnen jetzt mit der Umsetzung der ersten automatisch skalierenden Services auf Basis von Cloud Native Technologien auf dieser Plattform, die uns die Performancebasis der nächsten Dekade liefern werden.
Machen sich Amagno und Ihre Kunden ebenso wie viele andere Anbieter und deren Cloud-Kunden, die auf die Infrastrukturen von wenigen großen US-Unternehmen setzen, so nicht strukturell und preistechnisch abhängig?
Büscher: Ich kann nur für uns sprechen: Unsere Daten liegen in Rechenzentren in Deutschland; hier gilt grundsätzlich der Rechtsraum Deutschland. Viele Anbieter speichern sie im EU-Bereich. Die neu entwickelten Technologien für unsere Cloud-Lösung sind auf dem modernsten technologischen Stand, sind Standard und erlauben den Umzug auch zu anderen lokalen Anbietern, wenn es notwendig wäre. Dazu sehen wir aktuell keinen Anlass, denn alternativ kann die gleiche Technologie auch als Private Cloud in Deutschland oder anderen Ländern betrieben werden. Bezüglich der Preise gibt es einen Wettbewerb der Cloud-Plattform-Anbieter. Das bedeutet nicht, dass der günstigste Cloud-Plattform-Anbieter auch im Sinne der Kunden ist. Kosten sind im Kontext der Leistung zu sehen. Im Vordergrund steht immer die Sicherheit der Daten. Und da haben die großen Cloud-Plattform-Anbieter wie Microsoft, Google oder Amazon die Nase vorn. Angefangen von den Redundanzen bis hin zu den Zertifikaten und Sicherheitsmaßnahmen. Mit dem Investitionsumfang, mit dem die großen Cloud-Plattform-Anbieter aufwarten, kann kaum ein lokaler Cloud-Plattform-Anbieter für die Sicherstellung der Sicherheit, des Datenschutzes und des Risikomanagements mithalten. Als Anbieter sehen wir es zusätzlich als Verpflichtung, die Datenhoheit ergänzend durch eigene Verschlüsselung und weitere Schutzmechanismen zu schützen. Andernfalls würden Referenzkunden aus der hiesigen Wirtschaft, Medizin und auch öffentliche Einrichtungen und Verwaltungen mit höchsten Sicherheitsansprüchen und Erfüllung von zahlreichen Rechtskonformitäten ihre sensiblen Daten nicht den großen Cloud-Plattform-Anbietern, wie Microsoft Azure, anvertrauen.
Auswirkungen der Corona-Krise
Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Corona-Krise auf die Nutzung von ECM-SaaS-Angeboten ausgewirkt?
Büscher: Die Corona-Krise hat den Stellenwert der Digitalisierung weiter vorangetrieben. Anstatt physischer Meetings gibt es virtuelle Konferenzen, Workshops und Besprechungen, die das Arbeiten von zu Hause aus problemlos möglich machten. Unternehmen, die zu Beginn der Krise überwiegend papierbasiert arbeiteten, traf der Lockdown natürlich besonders stark, da sie ihre analogen Prozesse komplett auf den Kopf stellen mussten, um für das Home-Office gerüstet zu sein. Für Unternehmen, die ohnehin digital arbeiteten, war die Hürde schnell überwunden. Durch ihre cloudbasierten Anwendungen konnten sie ihre Arbeit zeit- und ortsungebunden auch flexibel von überall aus erledigen. Auch heute noch gibt es Unternehmen, die aus unterschiedlichen Gründen an der Arbeit mit Papier festhalten. Da die Dokumente in den Aktenschränken lagern und digital nicht zur Verfügung stehen, können sie außerhalb des Büros nicht auf die Unterlagen zugreifen. Das kann unter Umständen die Existenz bedeuten. Die schnelle Verbreitung des Virus und die Maßnahmen der Regierung haben so manchen Unternehmer wachgerüttelt. Denn die Zeiten der Krise und der damit verbundene Lockdown führte bei einer Vielzahl von Entscheidern zu einem Umdenken in puncto Digitalisierung und der bisherigen Einstellung zu Cloud-Anwendungen.
Mit welchen Verbesserungen im Cloud-Angebot rechnen Sie in nächster Zeit?
Büscher: Ich persönlich sehe im ECM-Cloud-Business klare Tendenzen, die durch die Anforderungen der Kunden durch ihre kompromisslose Einstellung »Alles, sofort, selbst, fertig, hoch automatisiert und überall verwendbar« vorangetrieben werden: Durch den Anspruch der Anwender, ECM als eine eigentlich komplexe Unternehmensanwendung mit der Simplizität einer einfachen App in Betrieb zu nehmen, besteht die besondere Herausforderung im Bereich der Bedienführung. Hier gewinnen nur die radikal einfachsten Bedienkonzepte. Gefragt ist die sofortige und unabhängige Inbetriebnahme einer ECM-Lösung mit fertigen, abteilungs- und unternehmensübergreifenden Geschäftsprozessen ohne lange Projektlaufzeiten und Customizing.
Wie wirken sich die Entwicklungen in der Unternehmenspraxis aus?
Büscher: Die Nutzung der ECM-Lösung auf jedem Gerät an jedem Ort zu jeder Zeit inklusive einer durchgängigen Digitalisierungskette etabliert sich beispielsweise mittels Scandienstleister für die verbleibende tägliche Briefpost oder Lösungen zum Abrufen von digitalen Rechnungen aus Portalen. Durch einen hohen Automatisierungsgrad – zum Beispiel durch KI/AI unterstützte Crowd-Learning-Technologien zur automatischen Ablage, Datengewinnung und Übergabe an Drittsysteme – ergibt sich eine maximale Wertschöpfung. Dies wird erleichtert durch das Ende von analogen Dokumenten durch gut strukturierte digitale Dokumente, wie ZUGFERD oder xRechnung. Cloud-Lösungen sind zentraler Bestandteil im Cloud-Ökosystem und erfordern die Interaktion zwischen beliebigen Anwendungen zum Beispiel durch Rest APIs. Denn das ECM ist keine führende Anwendung, sondern nur Teil eines hochautomatisierten Prozesses zwischen Anwendungen und Anwendern.
Sehen Sie eine Veränderung im Markt der ECM-Anbieter durch den Trend zur Cloud?
Büscher: Ja, mittelfristig sogar sehr deutlich. ECM in der Cloud ist kein temporärer Trend, sondern ein Fakt – das zeigen zahlreiche Umfragen, wie beispielsweise vom Bitkom. Derzeit ist der Anbietermarkt noch stark Projekt- und On-Premise-getrieben. Strategien für ECM-Anbieter vollwertiger Public-Cloud-Lösungen sind die Ausnahme. Die Folgen werden durch den Trend in die Cloud dramatisch sein. Denn es ist ein betriebswirtschaftlicher Unterschied, ob ein Kunde ein klassisches Investitionsprojekt durchführt oder sofort und für einen Bruchteil eines klassischen Projekts in die Cloud geht. Anbieter halten, historisch bedingt, eine hohe Mitarbeiterzahl für die Projekteinführung, Service und Support vor. Diese hohen fixen Kosten stehen im Kontrast zum wegbrechenden Projektgeschäft. Und es ist auch nicht mit einer Preisliste für die Cloud getan. Wer es als Anbieter richtig macht, steht vor einer kompletten Umstrukturierung seines Unternehmens. Dies kann als logische Folge in den nächsten Jahren zu einer Bereinigung des Marktes führen. Wahlweise beenden Anbieter ohne Cloudstrategie ihr Business oder werden, das ist naheliegender, Teil eines M&A-Prozesses einer der großen Anbieter. Es wird also spannend.