Interview mit Atle Skjekkeland: Unternehmen ersticken in Papier
Viele Unternehmen ersticken laut Atle Skjekkeland, Chief Evangelist des AIIM-Verbands, heutzutage noch in Papier. Im Interview mit ECMguide.de rät er, Stakeholder durch Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und Referenzbeispielen von der Umsetzung automatisierter Geschäftsprozesse inklusive Capture-Lösungen zu überzeugen.
Welche technologischen Trends sehen Sie im Bereich Capture-Software aktuell?
Skjekkeland: Gegenwärtig ist zu beobachten, dass sowohl die Capture- als auch die Information-Management-Industrie von vier großen Trends beeinflusst wird: Erstens Cloud und Mobile: Smartphones ermöglichen das Erfassen von Informationen am Prozessanfang, beispielsweise in Schadensfällen für Versicherungen. Zweitens Big Data Analytics: dies erlaubt das Automatisieren von Capture-Prozessen und Extrahieren von Zusammenhängen. Drittens das Internet der Dinge: die Verfügbarkeit von Low-Cost-Sensoren gestattet, Informationen über die Nutzung, Leistung, Ort oder ähnliches per Fernzugriff zu erfassen. Viertens Consumerization: Erfahrungen der Mitarbeiter im Consumer-Bereich zwingen die Unternehmens-IT, Lösungen zu kreieren, die simpel, smart, sicher und skalierbar sind.
Was nutzen Hersteller für den Erkennungsprozess im Hintergrund und worauf sollten Anwender in dieser Hinsicht achten?
Skjekkeland: Lösungen verwenden Optical Character Recognition (OCR) oder Intelligent Character Recognition (ICR), um gescannte Dokumente in maschinenlesbaren Text zu wandeln. Betrachtenswert sind hier die analytischen Technologien, die zum Extrahieren verwendet werden. Analytische Technologien nutzen Regeln sowie mathematische, statistische und semantische Modelle für folgende Ziele: Erstens: Automatische Kategorisierung, um Muster zu identifizieren und Bewertungsschemata zu entwickeln. Zweitens: Eigennamen-Erkennung, um Metadaten und Merkmale, die die Informationen beschreiben, zu identifizieren. Drittens: Automatische Klassifizierung, um herauszufinden wie sich die Informationen klassifizieren und speichern lassen. Viertens: Bilden von Zusammenfassungen, um Schlüsselsätze und Kurzabschnitte zu kreieren, die die Informationen beschreiben.
Wie wichtig ist eine Return-on-Investment- (ROI-) Betrachtung?
Skjekkeland: Je schwieriger es ist, ein Problem oder eine Herausforderung zu adressieren, desto wichtiger ist die Wirtschaftlichkeitsberechnung und der ROI. Und je größer das Investment, desto mehr Stakeholder interessieren sich für die Kaufentscheidung. Das bedeutet, dass Unternehmen eine solide Wirtschaftlichkeitsbetrachtung anstellen müssen, damit Stakeholdern der ROI aus wirtschaftlicher, juristischer sowie informations- und beschaffungstechnischer Sicht anspricht. Investitionswillige sollten ROI-Berechnungen mit Erfahrungsberichten ähnlicher Unternehmen ergänzen, die deren Ausgangssituation, Lösungsansätze und Auswirkungen beschreiben.
Welche Vorgehensweise empfehlen Sie für eine ROI-Berachtung?
Skjekkeland: Unsere neuen Schulungsangebote für die Umsetzung von Investitionsabsichten und das Aufsetzen einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung verwenden ein dreistufiges Modell. Am Anfang geht es darum, die strategische Bedeutung der Änderung aufzuzeigen, zum Beispiel, um Antwortzeiten auf Kundenanfragen zu verbessern. Dann sind die Vorteile für den operativen Betrieb herauszuarbeiten. Verantwortliche sollten die Auswirkungen und Kosten bestehender Prozesse hervorheben. AIIM befragte Anfang des Jahres mehr als 300 Verantwortliche aus den Bereichen Personalwesen, Finanzen und Buchhaltung zu den Kosten bei Papierprozessen. Auf dem abgebildeten Chart sind die vermuteten Kosten einiger wichtiger dokumentenintensiver Prozesse zu sehen. Diese zu automatisieren, reduziert die Kosten pro Dokument um zwei bis fünf Euro. Darauf aufbauend sind die Auswirkungen über einen längeren Zeitraum aufzuzeigen. Um die Dringlichkeit zu unterstreichen, sollte man verdeutlichen, dass das Problem sich vergrößert, je höher die Datenvolumina sind.
Wann würden Sie eine hard- und softwarebasierte Komplettlösung und wann eine Best-of-Breed-Lösung empfehlen?
Skjekkeland: Gegenwärtig übernehmen die Fachabteilungen die IT-Kaufentscheidungen. Diese wollen Lösungen und keine Projekte. Sie wollen Fortschritt und keine Perfektion. Sie wollen den Lösungsanbieter als Verantwortlichen für die Integration, den Betrieb und den Support. Eine Best-of-Breed-Lösung aus dem Gartner Magic Quadrant könnte zu teuer oder komplex ausfallen, wenn diese mit anderen Lösungen integriert werden muss. Eine einfache gekoppelte Lösung wird meist der sicherere Weg für Unternehmen sein.
Wie wichtig sind unabhängige Capture-Software-Hersteller?
Skjekkeland: Innovationen und disruptive Technologien kommen häufig von Startups und unabhängigen Unternehmen, da es für große Unternehmen schwierig ist, ihr eigenes Geschäft zu zerstören. Daher ist es meiner Meinung nach wichtig, immer neue und unabhängige Softwarehersteller zu haben, die uns helfen, die Industrie voranzutreiben. Und erfolgreiche kleine Unternehmen werden zu großen oder sie werden akquiriert bevor sie ein großes Unternehmen werden.
Wie schätzen Sie die Marktsituation im Bereich von Capture-Software aktuell ein?
Skjekkeland: Große Unternehmen haben große Probleme. Daher fokussierten wir unsere Bemühungen auf große und regulierte Unternehmen. Die bereits genannten Trends ändern dies. Cloud und mobile Technologien erlauben kleinen und mittleren Unternehmen, die gleichen Technologien wie große Unternehmen zu bekommen. Für sie ist es auch weniger komplex, Lösungen zu kaufen und zu implementieren. Viele Lösungsanbieter konzentrieren sich daher auf kleine und mittlere Unternehmen, um ihre Lösungen zu verkaufen. Organisationen ersticken noch in Papier. Nur 34 Prozent der US-Unternehmen verfügen über digitalisierte und automatisierte Rechnungsprozesse und nur 26 Prozent der US-Unternehmen haben digitalisierte und automatisierte Beschaffungsprozesse. Durchschnittlich werden 13,5 Prozent der Firmengebäude für das Lagern von Papier in Aktenschränken und Bücherregalen verschwendet. Die Chancen, die wir in den USA identifiziert haben, stimmen sehr gut mit denen in Europa überein. Aber wir sehen große regionale Unterschiede. Beispielsweise verfügen mehr als 80 Prozent der Unternehmen in den nordischen Ländern über eine automatisierte Kreditorenbuchhaltung während weniger als 20 Prozent dies in Südeuropa haben. AIIM veröffentlicht zwar keine Kenntnisse über Marktanteile, aber wir sehen Hersteller, die nun versuchen, Marktanteile entweder über Low-Cost-Angebote oder Differenzierungsmerkmale beispielsweise mit Analytics zu generieren. Erfolg entwickelt sich aus der Lösung von Problemen.
Welche Empfehlungen können Sie Anwendern sonst noch geben?
Skjekkeland: Marktführer wollen ihre Kundenbeziehungen und die Produktivität verbessern, kämpfen aber mit dem Was und Wie. Dies adressiert man mit Schulung und Wissensvermittlung nicht mit Technologie. Verantwortliche sind mit Geschäftseinblicken zu versorgen und nicht mit technischen Erklärungen. Es sollte einfach sein, eine neue Lösung zu testen, kaufen und skalieren.