Interview zu Information Governance, VOI
Der VOI-Geschäftsführer Peter Schmerler sieht durch Information Governance deutliche Auswirkungen auf die Archivierungsstrategien von Unternehmen. Denn alles zu speichern, um in allem zu suchen, erscheint vor dem Hintergrund einer rasant steigenden Informationsmenge und einer bereits vorhandenen Vertrauenskrise nicht als eine zielführende Strategie.
Bei Information Governance geht es darum, geschäftliche Informationen im Unternehmen zu erschließen und sie ordnungsgemäß zu verwalten und zu kontrollieren. Worauf legen Sie bei der Definition von Information Governance besonderen Wert?
Schmerler: Bei Information Governance geht es um die Beherrschung aller Informationen im Unternehmen. Gerade in Anbetracht einer steigenden Informationsflut und wachsenden Sensibilität für Sicherheitsanforderungen gewinnt dieses Thema berechtigterweise an Bedeutung. Information Governance hat die Information selbst im Fokus. Genau hier liegt der eigentliche Wert des Unternehmens.
Gibt es einen Markt für dedizierte Information-Governance-Produkte oder deckt man das Thema mit bestehenden Produktgattungen ab?
Schmerler: Information Management ist nicht dediziert. Es setzt das Zusammenwirken verschiedener Komponenten voraus und beschränkt sich im Zeitalter von Mobile- und Cloud-Computing inzwischen noch nicht einmal auf ein Unternehmen oder eine geschlossene Organisation. Die Umsetzung auf Basis eines einzigen technischen Produktes wird insofern praktisch auch nicht möglich sein. Vielmehr steht das koordinierte Zusammenwirken unterschiedlicher Produkte unter Einhaltung der Anforderungen einer Information Governance im Vordergrund. Neben der Schaffung von neuen Standards und der Umsetzung von Vorgaben und Regeln auf technischer Ebene wird aber auch ein neues Verständnis für den Wert und die verantwortungsbewusste Handhabung von Informationen bei den Nutzern Einkehr halten müssen.
Inwieweit eignen sich ECM- und DMS-Lösungen, um Information Governance abzudecken?
Schmerler: Information Governance geht über die Funktionalität der bestehenden ECM-Lösungen deutlich hinaus. Bei ECM-Lösungen steht die Verwaltung des Life Cycles einer Information unter Berücksichtigung der Aufbewahrungsfristen im Fokus. Insbesondere geht es hierbei nicht um alle Informationen im Unternehmen, sondern nur um solche Inhalte, die gezielt in ein ECM-System in der Regel zu Ablagezwecken überführt werden. In diesem Zusammenhang kann man von einem passiven Verwaltungssystem sprechen. Information Governance hingegen verwaltet alle Informationen im Unternehmen und zwar aktiv, also so, dass sie im jeweiligen Kontext passend (entsprechend dem jeweiligen Kontext) und zu jeder Zeit zur Verfügung stehen.
Welche anderen Lösungen sind gefragt?
Schmerler: Bei Information Governance geht es um die Beherrschung aller Informationen im Unternehmen. So gesehen sind dadurch auch alle Lösungen betroffen, die Informationen im Unternehmensumfeld behandeln. Hierzu gehören zum Beispiel Bereiche wie: Analytics, Search, Social, Enterprise 2.0, Cloud oder Mobile.
Beschäftigen sich aus Ihrer Sicht deutsche Unternehmen ausreichend mit dem Thema Information Governance?
Schmerler: Wenn man bedenkt, dass die Verfügbarkeit und insbesondere die Qualität der Informationen im Unternehmen zu einem Schlüsselfaktor für den Geschäftserfolg geworden ist, erhält Information Governance im Managementumfeld noch eine viel zu geringe Bedeutung. Gleichwohl führt die wachsende Sensibilisierung für Sicherheitsaspekte und Fragen der Compliance erfreulicherweise gleichzeitig auch zu einer Belebung der Diskussion im Bereich Information Governance.
Wie beeinflusst Information Governance die Archivierungsstrategien von Herstellern entsprechender Archivierungslösungen?
Schmerler: Bestimmte Aspekte von Information Governance spielten bei Archivierungslösungen schon immer eine wichtige Rolle. Hierzu gehört zum Beispiel die Abdeckung wichtiger Compliance-Anforderungen. Auch die Notwendigkeit zur Aufnahme unterschiedlichster Informationstypen wurde von den Herstellern durch Bereitstellung zahlreicher Archivierungsformate berücksichtigt. Information Governance geht weit über die bisherigen Anforderungen an Archivierungssysteme hinaus. Sie unterstützt Geschäftsprozesse aktiv, nicht hauptsächlich aus dem Blickwinkel der Aufbewahrung – sie hat gleichzeitig alle Unternehmensinformationen im Fokus. Hieraus leiten sich letztendlich viele neue funktionale Anforderungen an Archivierungssysteme ab.
Wie beeinflusst Information Governance die Archivierungsstrategien von Anwendern?
Schmerler: Information Governance ist nicht nur als ein technisches Thema zu sehen. Es betrifft direkt das Verständnis der Mitarbeiter, wie wertvoll Informationen für das eigene Unternehmen sind, und fordert insgesamt einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen ein. Hieraus ergeben sich natürlich auch Auswirkungen auf die Archivierungsstrategien der Unternehmen. Alles zu speichern, um in allem zu suchen, erscheint vor dem Hintergrund einer rasant steigenden Informationsmenge und einer bereits vorhandenen Vertrauenskrise nicht als eine zielführende Strategie. Den Wert der Information über die Zeit zu erkennen und diesen fundiert zu bewerten, bildet wohlmöglich einen wesentlich besseren Ansatz. Zukünftige Aufbewahrungslösungen werden solche Strategien in zunehmendem Maße unterstützen.
Information Governance hat viel mit Big Data zu tun, da die Informationsflut das Verwalten der Informationen immer schwieriger macht. Was schafft im Zusammenhang mit Big Data die meisten Probleme und wie kann man sie lösen?
Schmerler: In diesem Zusammenhang sollte man in der Tat besser von Big Data Analytics oder gleich von Business Intelligence reden, also von Verfahren zur automatischen Analyse riesiger Datenbestände, die ansonsten heute nicht handhabbar sind. Auf Dauer kann das aber nicht die allheilende Lösung sein. Information braucht Ordnung und zwar von Anfang an. Wenn man zum Beispiel bei Big Data alle ursprünglichen Rechtestrukturen beibehält, wird dort niemand etwas finden können. Was passieren kann, wenn man darauf verzichtet, haben wir gerade beim NSA-Skandal gelernt. Auf Dauer kann und muss Big Data deswegen Teil einer übergreifenden Information Governance werden.
E-Discovery-Lösungen sind darauf spezialisiert, große Mengen unstrukturierter Daten zu sichten und auszuwerten. Sehen Sie für ECM- und DMS-Anbieter eine neue Wettbewerbsfront aus dem E-Discovery-Umfeld?
Schmerler: E-Discovery-Lösungen sind Bestandteil von Information Governance, genauso wie ECM-Lösungen. Sie ergänzen sich durchaus sinnvoll. Intelligente Suchverfahren spielten in ECM-Systemen auch historisch schon immer eine wichtige Rolle. E-Discovery kann zum Beispiel genutzt werden, um Datenbestände zu durchforsten und Informationen inhaltlich zu ordnen, um sie beispielsweise nach den Regeln der Information Governance einem ECM-System zuzuführen.