Interview mit Andreas Zipser, CEO von Easy Software

Das börsennotierte ECM-Unternehmen Easy Software hat mit einigen Wechseln im Vorstand und Aufsichtsrat turbulente Jahre durchlebt. Nun hält seit Dezember 2020 der Finanzinvestor Battery Ventures die Aktienmehrheit und Andreas Zipser ist seit diesem März CEO. Wir sprachen mit ihm über die aktuelle Lage am Markt und im Unternehmen sowie die Zukunftspläne für den Softwarehersteller.

Andreas Zipser kam von Sage im März als CEO zu Easy Software (Bild: Easy Software)

25415-Easy-Software-Andreas-Zipser

Andreas Zipser kam von Sage im März als CEO zu Easy Software (Bild: Easy Software)

Sie sind nun seit gut sieben Monaten CEO von Easy Software. Was hat Sie dazu bewogen, diese Aufgabe trotz einiger negativer Schlagzeilen, die es in den vergangen Jahren gab, zu übernehmen?

Zipser: Mich reizte der Einstieg in eine mittelständische deutsche Softwarefirma von der ich persönlich immer ein positives Bild hatte. Mit Battery Ventures hat ein erfahrener Ankerinvestor aus dem Technologiesektor übernommen und kann EASY SOFTWARE damit vor allem eins bieten: Stabilität. Durch diese fehlende Stabilität gab es in der Vergangenheit auch mal Unwegsamkeiten, die es mit einem so erfahrenen Ankerinvestor nicht gegeben hätte. Neben der Stabilität spielte für meine Entscheidung aber auch das Thema Durchsetzungskraft eine große Rolle. Mich reizt sehr, Easy die Komplexität zu nehmen und es ist mir wichtig die essenziellen Geschicke eines mittelständischen Unternehmens persönlich leiten zu können.

Wie wollen Sie das Unternehmen wieder auf Erfolgskurs bringen?

Zipser: Neben der Reduktion der Komplexität wollen wir mit einer besseren Produkt- und Go-to-Market-Strategie auch wieder stärker in ein organisches Wachstum einsteigen. Eine weitere Idee von Battery Ventures ist, über eine Akquisitionsstrategie innerhalb der nächsten Jahre einen wesentlich größeren Marktanteil mit Easy zu gewinnen. Damit haben wir dann eine Mischung aus organischem und anorganischem Wachstum.

Besteht durch die Beteiligung eines Investors nicht die Gefahr, dass Easy selbst schnell zum Kaufkandidaten wird?

Zipser: Einige der Mitarbeitenden kamen nach meinem Start bei Easy ebenfalls auf mich zu und äußerten die Sorge, dass das Unternehmen schnell zerstückelt und weiterverkauft werden könnte. Hierzu muss ich sagen, dass ich bei ansonsten gleichen Rahmenbedingungen sicherlich nicht bei jedem Investor an Bord gekommen wäre. Battery Ventures ist kein reiner Finanzinvestor, sondern hat wirklich Expertise im Softwaregeschäft. Zudem hat Battery Ventures verschiedene Beteiligungsstrategien: Neben dem Weiterverkauf nach einer erfolgreichen Beteiligungsphase von etwa fünf bis sieben Jahren bleibt Battery Ventures nicht selten auch langfristig in Unternehmen investiert, um von einer guten Rendite zu profitieren. Easy Software hat das Potenzial, in wenigen Jahren ein rentables Unternehmen mit dreistelligem Millionen Euro Umsatz zu werden; heute machen wir etwa 50 Millionen Euro. Ich sehe Easy viel mehr als Konsolidator, der weitere Firmen zu sich nimmt als das wir in kurzer Zeit selbst wieder auf dem Markt sind.

Sie haben ja in Pandemiezeiten bei Easy angefangen. Wie hat sich Ihr Einstieg eigentlich gestaltet?

Zipser: Nicht nur für mich, sondern für alle Menschen, die in den letzten eineinhalb Jahren neu in einem Unternehmen angefangen haben, ist ein virtuelles Onboarding mit leeren Büros schwierig. Man kriegt kaum ein Gefühl für die Art, wie Leute miteinander umgehen und welche Unternehmenskultur gepflegt wird. Trotz der offensichtlich für alle schwierigen Situation, habe ich von Tag eins den besonderen Spirit und die Kultur bei Easy gespürt. Mitarbeitende, die anpacken wollen und einem den Einstieg leicht machen. Das funktioniert nur über eine transparente und offene Kommunikation und die entsprechenden Kollaborationstools.

Was hat Sie dann im Unternehmensalltag am meisten überrascht?

Zipser: Überrascht war ich von der hohen Komplexität, die sich durch die lange andauernde Uneinigkeit unter Großaktionären, Aufsichtsrat und Vorstand aufgebaut hat. Diese hat sich auf Kunden und Partner aber auch auf die Belegschaft ausgewirkt. Deshalb lautet nun die oberste Priorität, die Komplexität beispielsweise durch Tochter- und Schwestergesellschaften abzubauen und die Organisation zu überarbeiten. Wenn dies erledigt ist, sind wir schon mal einen großen Schritt weiter.

Welche Schritte wollen Sie außerdem gehen?

Zipser: Unsere Produkt- und Go-to-Market-Strategie ist generell sehr gut aufgestellt. Nichtsdestotrotz wollen wir Produkt- und Serviceideen etablieren, die im ECM-Markt heute noch gar nicht wirklich verbreitet sind – also Innovationen, die Easy tatsächlich einzigartig machen. Im Detail kann ich darüber aber noch nicht sprechen. Wichtig ist mir auch, unter der Belegschaft für eine Aufbruchsstimmung und anderes Denken zu sorgen. Dazu können auch neue Räumlichkeiten beitragen wie sie das moderne Bürogebäude der Funke Mediengruppe in Essen bietet, in das wir in Kürze von Mühlheim an der Ruhr ziehen.

Inzwischen haben Sie sich sicher auch schon mit vielen Kunden ausgetauscht. Was bereitet diesen gegenwärtig am meisten Kopfzerbrechen?

Zipser: Aktuell wagen sich viele mittelständische Unternehmen in für sie neue Felder der Digitalisierung. Moderne Technologien für Personal-, Vertrags- und P2P-Einkaufsmanagement sind bei vielen dieser Unternehmen noch nicht im Einsatz. Dass diese Lösungen heute mit einer Vielzahl von Applikationen und Informationsquellen umgehen können müssen, macht es für Neueinsteiger komplexer. Die Prozesse berühren viele Punkte und deshalb suchen die Kunden passende Integrationen sowie Oberflächen, die das vollständig abbilden können. Unterm Strich wünschen unsere Kunden sich vor allem, die Interaktionen und Erlebnisse ihrer eigenen Kunden, aber auch ihrer Mitarbeitenden zu verbessern. Die zweite Herausforderung ist, dass – genau wie Easy – auch die Kunden selbst in die Cloud drängen. Ein fließender Übergang ist nicht immer leicht, wenn es darum geht, neue Verträge zu vereinbaren, die auf bestehenden Implementierungen aufbauen. Migrationen von bestehenden On-Premises-Lösungen in native Cloud-Umgebungen sind anspruchsvoll. Hier sind Private-Cloud-Angebote oder Managed Services oft eine gute Brücke. Eine übergreifende Herausforderung für alle Kunden ist, dass zukünftige ECM-Lösungen besser lernen müssen, mit unstrukturierten Daten zu arbeiten. Zum Beispiel sind Chat-Nachrichten wie aus Microsoft Teams oder Slack während der Pandemie unheimlich schnell extrem wichtig geworden. Bisher kann Software aber nur sehr bedingt mit Daten dieser Art arbeiten. Insbesondere die Revisionssicherheit ist aktuell eine große Herausforderung, da es noch kaum komfortable, standardisierte Archivlösungen für Chat-Verläufe gibt. Easy arbeitet aktuell an – auch KI-basierten – Lösungen dafür.

Welche Lösungen werden bei Easy Software derzeit am stärksten nachgefragt?

Zipser: Absolute Dauerbrenner sind unsere P2P-Lösungen, die den kompletten Einkaufsprozess abbilden: von Bestellanforderung über Eingangsrechnungsverarbeitung bis zu Bezahlung und Verbuchung der Lieferantenrechnungen. Und natürlich »EASY Contract«, unser Vertragsmanagement. Beide betreffen praktisch jedes Unternehmen. Nach wie vor beliebt ist auch unser Archiv – besonders, wenn es um die Migration von Archiven in die Cloud geht. Abgesehen davon werden Portale für Self-Services immer beliebter. Sowohl solche, die sich intern an Mitarbeitende richten als auch die Self-Service-Portale, die Unternehmen ihren Kunden und Lieferanten bereitstellen wollen. Easy bietet dafür bereits erste Lösungen und wir werden dieses Angebot sukzessive erweitern.

Welche neuen Produkte und Services gibt es aus Ihrem Hause über die Sie bereits sprechen können und was sind die Highlights dabei?

Zipser: Grundsätzlich arbeiten wir immer daran, all unsere Basisprodukte kontinuierlich weiterzuentwickeln. Wir unterstützen auch unsere Partner dabei, ihre eigenen maßgeschneiderten Lösungen zu entwickeln, die auf Easy-Technologien basieren. Eine besonders wichtige Weiterentwicklung ist, dass es das Easy Archive jetzt auch als skalierbaren Cloud-Service gibt, den wir noch einfacher und flexibler an die Bedürfnisse einzelner Kunden anpassen können. Für unsere Integration für »Microsoft Dynamics 365 Business Central« bieten wir neue DMS- und Invoice-Konnektoren. Diese Konnektoren ermöglichen nicht nur eine tiefere Integration, sondern erhöhen auch die Zukunftssicherheit, weil wir den Update-Wellen von Microsoft damit schneller folgen können. Für Lösungen vieler unterschiedlicher Anbieter haben wir außerdem unsere Integrationen für elektronische Signaturen ausgeweitet. Generell arbeiten wir daran, bei möglichst vielen Kunden mehr Synergien zu schaffen, indem wir Applikationen, Funktionen und Komponenten auf vielen verschiedenen Eco-Systemen zur Verfügung zu stellen. Davon profitiert auch die Integrationsfähigkeit unserer Bestandsprodukte. Mit der »EASY Portal Experience« schaffen wir eine Hauptanlaufstelle für Self-Services rund um die Arbeit mit Dokumenten im Unternehmen. Sie bietet Kunden und ihren Stakeholdern eine einheitliche User-Experience für alle Prozesse, die Easy in ihrem Unternehmen unterstützt.

Was haben Sie für die kommenden Monate in der Pipeline, das bereits spruchreif ist?

Zipser: Aktuell arbeiten wir mit Hochdruck daran, unser gesamtes Kernangebot auf Software-as-a-Service und Native-Cloud-Anwendungen umzustellen. Damit erreichen wir bessere Skalierbarkeit, sodass Kunden ihre Datenmengen und Nutzerzahl flexibler bestimmen können. Die Systeme sind dann nur so komplex wie nötig, haben eine höhere Ausfallsicherheit und sind günstiger zu betreiben. Das Easy Archive steht an der Spitze dieser Entwicklung und wird kontinuierlich weiter optimiert. Unsere Invoice-Lösung für die Cloud, an der wir gerade arbeiten, ist besonders für kleinere Unternehmen spannend. On-Premises-Installationen werden über unseren Hybrid Connector weiterhin einsatzfähig sein, profitieren aber von der höheren Sicherheit der Cloud. Zum Beispiel von der standardisierten Implementierung und Rechenzentren, sodass die Lösungen nicht mehr in-house bei Kunden verwaltet werden müssen. Außerdem arbeiten wir gerade an einer Lösung für die große Lücke bei Messaging-Diensten wie Microsoft Teams, die ich eingangs erwähnt habe. Das heißt, auch Chat-Verläufe sollen bald ihren Platz im Easy Archive finden. Aktuell ist das Produkt bereits als MVP bei ersten Kunden im Einsatz. Langfristig planen wir, KI-basierte Technologien zu nutzen, um vor allem Prozesse mit unstrukturierten Daten – wie eben Chat-Verläufen, aber auch normalen nicht standardisierten Dokumenten – noch besser zu automatisieren. Mit KI planen wir auch den Einstieg ins Data-Driven-Business. Unsere ECM-Lösungen sind schon heute der zentrale Dreh- und Angelpunkt für Daten in Unternehmen. Dadurch sind wir in der idealen Position, neuen und bestehenden Kunden dabei zu helfen, datenbasierte Vorhersagen zu treffen und ihr Geschäft zu optimieren.

Wie lauten die Umsatz- und Geschäftsziele?

Zipser: Im Rahmen des Wandels vom klassischen Lizenzanbieter zum Software-as-a-Service-Anbieter gibt es systembedingt deutliche Verschiebungen in den Umsatzströmen. Vor diesem Hintergrund sind wir sehr zufrieden, dass wir dieses Jahr in der von uns den Märkten offiziell kommunizierten Umsatzspanne abschließen werden.

Mit welchen ECM-Herstellern steht Easy Software im größten Wettbewerb?

Zipser: Selbstverständlich fallen einem da zuerst alle ECM-Anbieter mit ähnlich breitem Lösungsangebot ein. Das heißt: Anbieter von ECM-Eco-Systems und großer ERP-Systeme, die auf Dokumentenverarbeitung und -archivierung spezialisiert sind. Besonders spannend ist der Wettbewerb mit deutschen Anbietern ähnlicher Größenordnung wie Easy. Was aber tatsächlich immer wichtiger wird, ist der Wettbewerb mit Anbietern, die mit hochspezialisierten Nischenlösungen einzelne Prozesse lösen. Dafür heben wir uns aktuell im Archivgeschäft vom großen Wettbewerb der klassischen On-Premise-Anbieter ab, indem wir den Schritt in die Cloud-Archivwelt vollzogen haben.

Vollständig angekommen ist Easy in der Cloud-Welt aber noch nicht. Als multimandantenfähige Lösung lässt sich Easy Archive nicht in einer Public Cloud nutzen.

Zipser: Aktuell ist Kunden eine Cloud-Perspektive wichtig und sehr selten bereits vollständig verfügbare native Cloud-Lösungen. Viele wollen zunächst Managed-Hosting- und Managed-Service-Systeme mit Web-Oberflächen für die Anwenderinnen und Anwender – faktisch eine gemanagte Private Cloud als Brückentechnologie, was heute mit Easy Archive möglich ist. Jedoch entwickeln wir neue Lösungen bereits so, dass sie sowohl als Single-Tenant- als auch als Multi-Tenant-Lösung nutzbar sind. Die heutige On-Premises-Easy-Archive-Lösung multimandantenfähig zu machen, wäre jedoch viel zu aufwendig, da völlig andere Technologien zugrunde liegen. Das macht grundsätzlich keinen Sinn. Alle Projekte, die es im IT-Umfeld in dieser Richtung gab, sind gescheitert.

Wie sieht es abrechnungstechnisch aus? Einige Hersteller haben ihre Preismodelle auch für On-Premises-Lösungen von einmaligen Lizenzkosten bereits auf Mietmodellbasis umgestellt.

Zipser: Auch hier findet bei den Kunden ein Umdenken statt. Im Neugeschäft verkaufen wir fast keine Lizenzen mehr, sondern nur nach dem Subskriptionsmodell – selbst wenn der Kunde die Software wie bisher in der eigenen IT betreibt. Vom Mindset ist das schon ein Schritt Richtung Cloud, wo man eine Software nicht mehr besitzen kann. Dies ist eine Vorwegnahme des Modells auf kommerzieller Ebene. Dann ist auch der nächste Schritt, die eigene Infrastruktur abzuschaffen und alles technisch in die Cloud zu heben, kein großer Akt mehr.

About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.