Interview zu KI und ECM mit Michael Woodbridge, Gartner
Nach Meinung von Michael Woodbridge, Senior Research Director von Gartner dient Künstliche Intelligenz(KI) im Zusammenhang mit Enterprise Content Management (ECM) beziehungsweise Content Services Produkten (CSPs) zur Steigerung der Produktivität von Mitarbeitern und besserer Klassifizierung. Außerdem geht der Marktforscher im Interview mit ECMguide.de auf Anwendungsfälle und einzelne Anbieter ein.
Welche Art von Künstlicher Intelligenz (KI) oder intelligenten Analyse-Komponenten werden im Zusammenhang mit Enterprise-Content-Management-(ECM-) beziehungsweise Content-Services-Produkten (CSPs) verwendet?
Woodbridge: Ich denke die Verwendung von AI-Technologien in Content-Services-Produkten – und diese beinhalten Content Services Plattformen und Content Collaboration Plattformen – lässt sich in zwei große Funktionsgruppen herunter brechen. Eine Gruppe wird benutzt, um Produktivitätssteigerungen zu erreichen. Hierzu dienen proaktive Einblicke, das Hervorheben von zusammenhängenden Inhalten und das Vorschlagen von Informationen während bestimmte Inhalte verfasst werden. Dies wird durch eine Kombination aus grafischen Mitteln und maschinellem Lernen ermöglicht. Die andere Funktionsgruppe zielt hauptsächlich darauf ab, die Klassifizierung zu automatisieren und wird verwendet, um Inhalte zu erkennen sowie Metadaten zu extrahieren und zuzuordnen. Diese Funktionsweise ist nicht besonders neu, da es die regelbasierte Klassifizierung schon längere Zeit gibt. Jedoch erweitert der Gebrauch von maschinellem Lernen die Möglichkeiten hier um größere Flexibilität, tiefere Einblicke und weniger Administrationsaufwand.
Bei welchen Anwendungsfällen kommen diese zum Einsatz?
Woodbridge: Die Produktivität ist bereits ein eigener Anwendungsfall. Anwender werden befähigt, die Technologie ihres digitalen Arbeitsplatzes besser zu nutzen. Bei Gartner sehen wir das als eine Erhöhung der digitalen Geschicklichkeit der Anwender. Demgegenüber eröffnen die Klassifizierungsmöglichkeiten unzählig viele Anwendungsfälle über verschiedene Branchen hinweg: Betrugserkennung bei Finanzdienstleistungen, Risikoanalyse im Vertragsmanagement oder ganz allgemeine branchenübergreifende Kundeneinblicke, die aufgrund besserer automatisierter Metadaten-Extraktion gewonnen werden, um einige Beispiele zu nennen.
Wie stark sind solche Tools bereits verbreitet?
Woodbridge: Die Produktivitätsverbesserungen breiten sich immer mehr aus. Sie sind in Produkten wie »Microsoft Office 365« und »Google G Suite« enthalten und Cloud Office wird zum Schlüsselelement vieler digitaler Arbeitsplätze von Unternehmen. Die Verbreitung von automatisierter Klassifizierung findet nicht so flächendeckend statt. Es gibt einige spezialisierte Anbieter, die auf spezifische Anwendungsfälle in den bereits genannten Bereichen eingehen, aber in der Breite ist sie nicht weit vertreten.
Was behindert die weitere Ausbreitung?
Woodbridge: Eine Verständnislücke im Zusammenhang mit Geschäftszielen wirkt als Barriere im effektiven Gebrauch von KI-bezogenen Technologien. Was wollen Sie erreichen? Die Nutzung von KI-Technologie sollte nicht das Ziel sein, die Transformation von entscheidenden Geschäftsprozessen auf ein höheres Automatisierungslevel oder ein besseres Verständnis der Kundenbedürfnisse dagegen schon. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ist es leichter, die entsprechende Technologie auszuwählen. Es gibt hier viel Vernebelungsversuche seitens Anbieter. Daher ist es umso wichtiger, klar die erwarteten Ergebnisse zu definieren, um Marketingversprechungen zu durchschauen und schneller herauszufinden, was tatsächlich machbar ist.
Inwieweit ist es notwendig, ein einheitliches Dateiformat wie PDF/A für den Einsatz von KI oder intelligenten Analyse-Komponenten im Zusammenhang mit ECM- beziehungsweise Content-Services-Produkten zu verwenden?
Woodbridge: Ich glaube nicht, dass dies eine zentrale Triebkraft darstellt. Die meisten Content-Services-Produkte enthalten Funktionen zur Medientransformation, die in der Lage sind, Dateien in übliche Formate zu übertragen. Dies sollte nicht das Problem von Kunden sein. Kunden müssen Anbieter lediglich auf die Vielfalt ihrer Format-Landschaft im Zuge des Auswahlprozesses aufmerksam machen.
Auf was ist beim Einsatz entsprechender KI- beziehungsweise Analysetools im Unternehmen besonders zu achten?
Woodbridge: Wie bereits erwähnt ist die Kenntnis des gewünschten Ergebnisses zwingend erforderlich. Zu beachten ist auch, dass Anbieter womöglich auf verschiedene Geschäftsbereiche unterschiedlich eingehen. Viele KI-Fähigkeiten besonders im Klassifizierungsbereich sind geschäftsbereichsspezifisch. Daher empfiehlt es sich, Partner auszuwählen, die den Geschäftsbereich verstehen oder eine flexible Plattform zu wählen, die andere KI-Frameworks einsetzen kann.
Welche Anbieter, die sich im ECM-/Content-Services-Bereich bewegen, erachten Sie hier führend?
Woodbridge: Fast alle Anbieter investieren auf bestimmte Weise in KI. Speziell Microsoft und Google sind in Bezug auf die KI-Nutzung zur Steigerung der Produktivität führend. Bezüglich der Klassifizierung gibt es mit M-Files, Box und Hyland interessante Anbieter. M-Files hat voll integrierte Klassifizierungsfähigkeiten, die Inhalte innerhalb des nativen M-Files Repository klassifizieren können. Zusätzlich lassen sich auch andere Repositories über einen übergreifenden Klassifizierungsservice einbinden. Box erlaubt Unternehmen mit einem Produkt, das sich noch in der Beta-Phase befindet und unter der Bezeichnung »Box Skills« läuft, andere geschäftsbereichsspezifische KI-Frameworks einzubinden. Schließlich liefert Hylands Brainware-Produkt die Möglichkeit, automatischen Klassifizierungsfähigkeiten für bestimmte Geschäftsprozesse wie Rechnungsverarbeitung zu nutzen, ohne Vorlagen für die Mustererkennung zu definieren. Dabei erhöht sich die Flexibilität und senkt sich der Administrationsaufwand. Dies sind aber nur einige der gebotenen Beispiele.
Immer mehr ECM- und Content-Services-Produkte versprechen beispielsweise per Konnektoren auf Drittapplikationen zugreifen zu können. Wie bewerten Sie diese Entwicklung im Zusammenhang mit KI?
Woodbridge: Die Integration in Fachapplikationen ist ein wichtiger Aspekt einer erfolgreichen Content-Services-Strategie. Ein CSP sollte kein bestimmtes Ziel sein, sondern in Alltagsaufgaben eingebettet sein, sonst wird die Anwendung sehr schwierig. KI-Technologien spielen dabei aktuell noch keine große Rolle. Offene Schnittstellen, vorgefertigte Konnektoren und ein Fokus auf Anwendererfahrungen sind hier wichtige Aspekte. Der Gebrauch dieser Konnektivität, um die Automatisierung weiter voranzutreiben ist üblich und ebenso wichtig, beispielsweise um Metadaten im CSP entsprechend dem richtigen Kunden und der richtigen Fachanwendung zu hinterlegen. In Zukunft werden wir AI-getriebene Services sehen, die automatisch Endpunkte entdecken und integrieren können und einen inhaltsbezogen Anwendererfahrung herstellen, ohne komplexe Integrationen zu benötigen. Doch aktuell ist dies noch nicht verfügbar.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung hinsichtlich KI und ECM?
Woodbridge: Alle CSP-Anbieter investieren in KI. In sehr naher Zukunft werden wie Klassifizierungsfähigkeiten als Standardfunktionen in den Produkten sehen. Den Unterschied werden dann die Möglichkeiten ausmachen, wie schnell sich diese Funktionen auf aktuelle Business-Lösungen anwenden lassen.