Interview mit Karsten Renz, Optimal Systems zu Digital Workplace
Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen oder zumindest zu verlangsamen, haben die Behörden jetzt auch in Deutschland einschneidende Maßnahmen ergriffen. Die sind wohl unumgänglich, stellen viele Bereiche der Wirtschaft aber vor eine Zerreißprobe: Manche Unternehmen, in denen der direkte, physische Kundenkontakt unumgänglich ist, müssen den Betrieb ganz einstellen, viele andere können immerhin versuchen, die Abläufe im Büro aufrecht zu erhalten – selbst wenn niemand in den Büroräumen vor Ort ist. Nach Ansicht von Karsten Renz, Gründer und CEO des ECM-Software-Spezialisten OPTIMAL SYSTEMS, sind dabei Unternehmen im Vorteil, die schon bisher Homeoffice nicht nur erlaubt haben, sondern sich im Rahmen eines »Digital Workplace« umfassend darauf eingestellt haben.
Ende 2019 veröffentlichte der Bitkom Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zum Thema Homeoffice. Demnach durften damals 41 Prozent im Homeoffice arbeiten. Aber 62 Prozent der Festangestellten mit Homeoffice-Erlaubnis machten davon keinen Gebrauch. Im März 2020 wünschen sich viele Unternehmen, sie hätten bereits früher die Arbeit im Homeoffice besser unterstützt, denn es zeigt sich, dass oft gar nicht die technischen Voraussetzungen vorhanden sind, um Homeoffice in großem Stil zu ermöglichen.
Renz: Das Homeoffice ist ja nur die einfachste Form des »Digital Workplace« – und selbst die ist noch immer meilenweit von einer flächendeckenden Verbreitung entfernt. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigte jüngst, dass vor allem kleinere Unternehmen hier großen Nachholbedarf haben: Während immerhin 57 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten Heimarbeitsplätze offerieren, bietet diese Möglichkeit nur jeder fünfte Betrieb mit weniger als 100 Mitarbeitenden. Repräsentative Studien belegen auch, dass die Arbeit zuhause häufig nur stundenweise genutzt wird – und Frauen deutlich weniger oft die Chance bekommen, räumlich flexibel zu arbeiten. Zudem hat das Interesse der Arbeitnehmer an dieser Möglichkeit in den letzten Jahren offenbar abgenommen: Nur jeder Zehnte nutzt tatsächlich einen vollwertigen Arbeitsplatz auch außerhalb seines Büros.
Sie unterscheiden hier deutlich zwischen Homeoffice und einem »vollwertigen Arbeitsplatz auch außerhalb des Büros«?
Renz: Viele denken beim Stichwort Digital Workplace vor allem ans altbekannte Homeoffice. Dabei gehört zu einer leistungsfähigen, verteilten Arbeitsumgebung viel mehr als ein Diensthandy und ein Laptop mit Internetzugang. Verteilte Arbeitsumgebungen erfüllen vielfältige Funktionen. Sie verbinden mehrere Unternehmensstandorte miteinander, ermöglichen die Zusammenarbeit verteilter Teams und erlauben es, Projekte flexibel von jedem Ort aus bearbeiten. Wie wertvoll der dafür geschaffene Digital Workplace für die Existenz eines Unternehmens sein kann, führt uns derzeit die Corona-Problematik vor Augen. Außerhalb des Büros tätig zu sein heißt ja nicht nur, ein paar E-Mails vom Sofa aus zu beantworten. Es geht vielmehr darum, von überall aus auf Daten und Projektunterlagen zugreifen zu können und beispielsweise bei der Bearbeitung eine strukturierte Ablage und transparente Versionierung beizubehalten sowie die revisionssichere Archivierung zu gewährleisten. Je größer und zahlreicher die verteilten Teams, desto kritischer wird die Erfüllung dieser Anforderungen bei der Kollaboration – das gilt erst recht für die Zusammenarbeit über verschiedene Kontinente und Zeitzonen hinweg.
In einigen Bereichen und Unternehmen waren verteilte Arbeitsumgebungen ja bisher schon etabliert. Offenbar waren die aber in der Minderheit. Welche Voraussetzungen müssen aus Ihrer Sicht für einen echten Digital Workplace erfüllt sein?
Renz: Um die Bereitschaft der Arbeitnehmer zur Nutzung eines Homeoffice-Platzes zu steigern und die »Future of Work« im Unternehmen zu realisieren, ist eine Unternehmens-IT notwendig, die das Arbeiten von theoretisch jedem beliebigen Einsatzort aus bequem, sicher und optimal an die Kernsysteme angebunden ermöglicht. Halbherzige technische Lösungen reichen dafür nicht aus. Voraussetzungen sind eine leistungsfähige Dokumentenmanagement-Lösung, die digitale Workflows unterstützt, sichere Collaboration-Tools – und vor allem die Bereitschaft, den Digital Workplace als echten Beitrag zur Wertschöpfung zu begreifen. Denn wie die jüngeren Ereignisse gezeigt haben, kann er für viele Geschäftsmodelle in Krisenszenarien sogar zum Schlüssel für die Betriebssicherheit oder noch besser, zum Schutz vor Betriebsunterbrechungen durch höhere Gewalt, werden.
Welche Rolle spielt ein ECM im Rahmen des Digital Workplace?
Renz: Ein Enterprise Content Management oder Dokumentenmanagement-System (ECM/DMS) steuert Informationsfluss und Wissensmanagement im Unternehmen effizient. Es verwaltet alle Informationen und hierarchischen Ablagestrukturen zentral und erleichtert über eine intuitive Suche das Auffinden, die Ablage und Versionierung von Dokumenten unterschiedlichster Formate. Ein modernes ECM erlaubt zudem die Verteilung von Informationen über digitale Workflows: durch Verlinkungen auf die Dokumente im ECM-System oder extern als E-Mail-Anhänge. Gerade beim verteilten Arbeiten ist es ausgesprochen wichtig, gemeinsame Daten und Dokumente zu nutzen. Arbeitet jeder Benutzer lokal und speichert seine Unterlagen erst später an zentraler Stelle oder übermittelt sie den Kollegen lediglich per E-Mail, ist das Chaos vorprogrammiert. Um das zu vermeiden, sollte auch aus dem Homeoffice oder bei der Arbeit von unterwegs die Verwaltung sämtlicher Daten, Informationen und Dokumente immer über eine Plattform erfolgen, die Versionierung und Kollaborationsfunktionen unterstützt. Neben kontextbezogener Ablage und revisionssicherer Archivierung ermöglicht die dann später umfassende und vollständige Recherchemöglichkeiten. Da viele Prozesse direkt in den Fachanwendungen abgearbeitet werden, ist eine Verknüpfung des ECMs mit diesen erforderlich. Umfangreiche Import- und Exportfunktionen sollten ebenso unterstützt werden wie die Einbindung elektronischer Signaturen. Und für einen modernen Workflow sind Funktionen für die Wiedervorlage und Abonnements zu bestimmten Dokumenten erforderlich.