E-Rechnungsprozess: Interview mit Dina Haack, WMD
Lösungen für elektronische Post- und Rechnungseingangsbearbeitung können technisch von verschiedenen Seiten wie ECM-, BPM-/Workflow- und ERP-Anbietern und auch von Dienstleistern angeboten werden. Wie groß ist die Konkurrenz unter diesen Anbietern?
Haack: Auf den ersten Blick ist die Auswahl groß und der Markt unübersichtlich. Das liegt daran, dass – wie Sie schon sagen – es unterschiedlichste Herangehensweisen gibt. Im Detail betrachtet unterscheiden sich die Lösungen allerdings. Es kommt darauf an, worauf der Kunde Wert legt: Ist es am wichtigsten, dass die Lösung möglichst umfassend alle Eingangskanäle abdeckt? Liegt die Priorität auf einem hohen Automatisierungsgrad, sodass manuelle Arbeitsschritte weitgehend vermieden werden können? Soll es ein möglichst schlankes Tool sein, kostengünstig und schnell einsatzbereit? Oder ist die vorhandene Systemlandschaft so breit aufgefächert, dass eine integrierte Lösung bevorzugt wird, damit nicht noch eine weitere Stand-alone-Anwendung für die Benutzer hinzukommt? Wenn man diese Fragen für sich beantwortet hat, wird die Auswahl der Lösungen deutlich übersichtlicher. Wir haben uns spezialisiert auf Workflow-Software, unser Schwerpunkt liegt dabei auf SAP-integrierten Lösungen. In diesem Umfeld sehen wir etwa eine Handvoll Mitbewerber, die Funktionen in ähnlichem Umfang und vergleichbarer Tiefe anbieten.
Wird sich am Ende ein bestimmter Typus gegenüber den anderen Ihrer Meinung nach deutlich durchsetzen?
Haack: Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, welcher Typus sich durchsetzen wird. Aber ich habe eine Vermutung, welcher Typus es nicht sein wird. Der Trend bei IT-Systemen, nicht nur für die Post- und Rechnungsverarbeitung, geht hin zur Nutzung einzelner Services, die auf bestimmte Anwendungsgebiete spezialisiert sind und häufig auch in der Cloud laufen. Diese sind für Kunden schneller und flexibler nutzbar sowie häufig auch skalierbarer. Durch entsprechende APIs ist eine nahtlose Integration möglich, sodass keine Nachteile in der Anwendung entstehen. Von der anderen Seite betrachtet, bedeutet dieser Trend hin zu Services eine Abkehr von den monolithischen Systemen. Solche Systeme, die alles mit einer Lösung abdecken wollen, haben dann häufig an wichtigen Stellen doch nicht genau den Funktionsumfang, den der Kunde sich wünscht oder benötigt. Das allumfassende System gibt es so nicht, der Kunde muss immer Kompromisse eingehen, wenn er auf nur eine Lösung setzen will. Daher denke ich nicht, dass ECM- und ERP-Systeme, die Posteingang und Rechnungsverarbeitung als eines unter vielen Aufgabenfeldern mit anbieten, sich als Lösung für diese Prozesse durchsetzen werden.
Sie bieten sowohl Lösungen für die Eingangspost- als auch für die Eingangsrechnungsverarbeitung an. In welchem Bereich besteht derzeit die größere Nachfrage?
Haack: Definitiv bei der Eingangsrechnungsbearbeitung!
Worauf führen Sie die Nachfrage zurück?
Haack: Die Rechnungsverarbeitung ist ein Prozess, der im Detail relativ aufwändig ist. Es sind viele einzelne Arbeitsschritte erforderlich, die häufig repetitiv und monoton sind. Ein Beispiel dafür ist das manuelle Eingeben von Rechnungsinhalten in ein Buchhaltungs- oder ERP-System. Selbst wenn es nur 30 oder 50 Rechnungen am Tag sind, bedeutet dies einen erheblichen Zeitaufwand. Auf der anderen Seite ist Dateneingabe in ein System ein sehr standardisierter Prozess. Je höher die Standardisierung eines Prozesses und je geringer die Ausnahmen, desto geeigneter ist dieser für die Automatisierung. Das ist der Grund, warum Kunden häufig als Erstes die Eingangsrechnungsbearbeitung automatisieren wollen: Die manuelle Verarbeitung von Rechnungen ist schlicht zu aufwändig, der Prozess kann digital optimal abgebildet werden.
Wie stark treibt das E-Rechnungsgesetz die Einführung von elektronischen Rechnungen bei öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen voran?
Haack: Wir merken, dass die öffentlichen Verwaltungen anfangen, sich auf das Thema vorzubereiten. Wir erhalten aus diesem Bereich aktuell viele Anfragen, bei denen es um die Annahme und Verarbeitung elektronischer Rechnungen geht. Erste Projekte zum Thema »XRechnung« haben wir bereits umgesetzt. Auf der anderen Seite sind Unternehmen ¬– in der Rolle des Rechnungsstellers – noch eher zögerlich. Das mag daran liegen, dass in den meisten Bundesländern Rechtsverordnungen noch ausstehen, die Details also noch gar nicht final klar sind. Außerdem vermute ich, dass vielen Rechnungsstellern nicht bewusst ist, dass das E-Rechnungsgesetz des Bundes beziehungsweise die zugehörige Verordnung nicht nur die öffentlichen Auftraggeber in die Pflicht nimmt. Ab November 2020 besteht nämlich auch eine E-Rechnungspflicht. Ab dann werden öffentliche Auftraggeber des Bundes Rechnungen (bis auf einige Ausnahmen) nur noch in elektronischer Form annehmen. Es geht also nicht nur darum, dass Auftragnehmer elektronische Rechnungen schicken dürfen – in rund anderthalb Jahren müssen sie das auch.
Inwiefern verbessern technologische Neuerungen wie Künstliche Intelligenz (KI), Machine Learning (ML) und Robotic Process Automation (RPA) die Entwicklung bei Post- und Rechnungseingangsbearbeitung?
Haack: Künstliche Intelligenz, Machine Learning und RPA werden häufig in einem Atemzug genannt. Man sollte jedoch zwischen den Begriffen differenzieren. KI und – als Unterform davon – Machine Learning eröffnen eine komplett neue Ebene von Automatisierung. RPA ist eher eine andere Herangehensweise an diese. Machine Learning gibt es in der Theorie schon länger, die Umsetzung in die Praxis hat aber erst in den letzten Jahren begonnen. Erst heute sind nämlich Rechenkapazität, Datenmengen und auch Datenverfügbarkeit, zum Beispiel über die Cloud, in ausreichendem Maße gegeben, um Machine Learning-Ansätze sinnvoll anzuwenden. Für den Bereich Post- und Rechnungsbearbeitung bietet sich Machine Learning eigentlich für alle Arbeitsschritte an, die heute regelbasiert erfolgen: Kreditorenerkennung, Bearbeiterfindung usw. RPA auf der anderen Seite ist ein anderer Ansatz der Automatisierung. RPA umgeht das Thema Systemintegration, indem es einen menschlichen Nutzer nachahmt und wie dieser über die Software-GUI arbeitet. Das kann eine Alternative sein, wenn der Kunde sehr alte Systeme im Einsatz hat, die nicht über Schnittstellen für eine Integration verfügen oder wenn der Kunde aus irgendwelchen Gründen nicht auf die Systeme zugreifen kann.
Setzen Sie aktuell schon auf diese Technologien und wie planen Sie deren Einsatz in Zukunft?
Haack: Machine Learning, als eine Unterform von künstlicher Intelligenz, ist ein zentraler Punkt auf unserer Produkt-Roadmap. Wir sind gerade dabei, die unterschiedlichen technologischen Ansätze – wie Machine Learning oder Deep Learning – zu analysieren, bewerten die möglichen Integrationsszenarien – Eigenentwicklung oder Einbindung zum Beispiel von SAP Leonardo – und priorisieren für uns die Anwendungsfälle – Dokumentenklassifizierung, Lieferantentraining, etc. RPA hingegen hat eigentlich nur bei Sonderfällen echte Vorteile gegenüber klassischer Automatisierung, daher haben wir in diesem Bereich keine konkrete, weitere Planung.
Welche Vorteile ergeben sich daraus für Ihre Kunden?
Haack: Wir wollen Machine Learning für einzelne Prozessschritte anwenden, bei denen Entscheidungen aktuell regelbasiert getroffen werden. Unsere Software beinhaltet bereits einen Großteil des Regelwerks, aber die Feinheiten müssen dann doch beim Kunden im System individuell hinterlegt werden. Bei der Einrichtung des Systems bedeutet das Aufwand und bei Änderungen im Prozess oder bei den Dokumenten muss nachgepflegt werden. Eine gute KI kann dem Nutzer dieses Pflegen von Regelwerken nicht nur abnehmen, sondern teils sogar besser entscheiden, weil sie in gewissem Umfang auch auf Abweichungen reagieren kann. Bei einer Cloud- oder hybriden Lösung wäre es sogar möglich, dass die Kunden von den Erfahrungen und Lernkurven der anderen Kunden profitieren, in gewissem Sinne also eine »Schwarmintelligenz« entsteht. Der Nutzen für den Kunden ist in jedem Fall eine Entlastung von manuellen Arbeitsschritten. Und das ist oftmals die größte Herausforderung in den Fachabteilungen: ein wachsendes Arbeitspensum bei gleicher Personaldecke. Damit die Qualität konstant bleiben kann, ist Entlastung durch Automatisierung ein Muss. Jeder Arbeitsschritt, der eingespart werden kann, zählt!
WMD bietet sowohl eine Rechnungslösung für SAP als auch eine ERP-herstellerunabhängige Lösung. Bedeutet die herstellerunabhängige Variante mehr Implementierungsaufwand beziehungsweise eine niedrigere Integrationstiefe?
Haack: Es kommt auf die Systemlandschaft und die Anforderungen des Kunden an. Wenn ein Kunde nicht nur SAP als ERP-System im Einsatz hat, sondern auch noch weitere Produkte, lässt sich mit der ERP-unabhängigen Version eine einheitliche Lösung einfacher umsetzen. Wenn der Kunde nur auf SAP als ERP-System setzt, wäre es in der Tat aufwändiger, die Integrationstiefe der SAP-Version in der ERP-unabhängigen Version nachzubauen. Auf der anderen Seite bedeutet eine geringere Integrationstiefe auch mehr Flexibilität.
Wie hoch ist der Automatisierungsgrad in den Bereichen Post- und Rechnungsbearbeitung bei Kunden in der Regel?
Haack: Das lässt sich pauschal schwer sagen. Insbesondere bei der Rechnungsverarbeitung hängt der Automatisierungsgrad von verschiedenen Faktoren ab: Wie viele Rechnungen erhält der Kunde? Von wie vielen Lieferanten? Wie hoch ist der Anteil von Rechnungen mit Bestellbezug? Hat der Kunde eine gewisse Größe oder Marktmacht? Diese Faktoren spielen zusammen. Wir haben außerdem festgestellt, dass der Automatisierungsgrad sich zwischen den Branchen unterscheidet: Kunden aus dem Bereich Retail oder Automotive haben meist einen eher hohen Automatisierungsgrad, im Banken- und Versicherungsumfeld ist er eher niedrig.