Übernahme von PFU durch Ricoh: das Scan-Schnäppchen
Neues PFU-Management
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Nach der Übernahme von PFU im Sommer hat Ricoh jetzt nicht nur dessen Board mit eigenen Leuten besetzt, sondern auch den bisherigen PFU-Präsidenten Izumi Nagahori durch den Ricoh-Manager Seiji Murakami und einige weitere Führungspersönlichkeiten ausgetauscht. Damit ist klar, dass PFU nicht so an der langen Leine geführt wird, wie einige frühere, europäische Übernahmen von Ricoh, etwa Docuware, sondern schnell in das eigene Geschäft und die eigene Struktur integriert werden soll. Um den Schritt zu verstehen, muss man etwas ausholen.
Grundsätzlich ist Ricoh breiter aufgestellt, als viele wissen, die das Unternehmen als Anbieter von Kopierern kennen. Zum »Office«-Angebot gehören auch Projektoren, Videokonferenz-Ausrüstung und Whiteboards, neben Managed Print Services werden auch IT-Services, Business Process Services, Kommunikations- und Daten-Services angeboten.
Für die Industrie hat Ricoh mit Produktionsdruckern, Spezialtinten, Textildruckmaschinen und Verbrauchsmaterial für Thermotransferdrucker Angebote. Daneben sind diverse Kameras, vor allem für die Automobilbranche, die diese für Fahrassistenzsysteme benötigt, inzwischen ein wichtiger Teil des Ricoh-Geschäfts.
Diversifizierung von Kerntechnologien als Ricoh-Strategie
Sogar Roboter zum Auflöten bei der Platinenproduktion und Spezialgeräte zum Bedrucken von Reifen oder dem vollständigen Bedrucken von Flaschen gehören zum Angebot – und selbst wenn man Flugzeugrümpfe bedrucken will, hat Ricoh ein Spezialangebot dafür. Allen Produkte gemeinsam ist, dass sie auf dem im Drucker- und Kopierergeschäft erforderlichen Know-how beim Umgang mit Licht und Lasern sowie der Behandlung von Druckerverbrauchsmaterialien beruhen – wobei Ricoh beim Verbrauchsmaterial inzwischen sehr breit aufgestellt ist: Inzwischen kann das Unternehmen auch Lithium-Ionen-Akkus oder Zellgewebe drucken.
Diese Weiterentwicklung und Diversifizierung von Kerntechnologien zu einem breiten Angebot, das auf den ersten Blick oft wenig mit den Produkten zu tun hat, aus denen es hervorgegangen ist, beschreibt Ricoh auf seiner Webseite anschaulich für seine Inkjet-Technologie.
Die erste Stufe des Digitalisierungsprozesses im Blick
Die Ankündigung, die Mehrheit (80 Prozent) an Fujitsus Scanner-Sparte PFU erwerben zu wollen, kam für viele Beobachter im Frühjahr daher überraschend. Schließlich ist die für Scanner benötigte Imaging-Technologie historisch bei Ricoh vorhanden. Das Unternehmen begründete den Kauf damit, so »in die erste Stufe des Digitalisierungsprozesses zu investieren«, die oft daraus bestehe, dass physische Dokument gescannt und in einen automatisierten Prozess übergeben werden.
So weit, so gut – und so weit nichts Neues. Auch die Stellungnahme von Nicola Downing, CEO für Ricoh Europe, bleibt vage: »Unsere Investition in diesen Schlüsselbereich des Markts für Dokumenten-Management stärkt unsere Fähigkeit, Kunden mit End-to-End-Support -und Expertise bei der Optimierung ihrer Workflows und der Prozess-Automatisierung zu unterstützen.«
In den Bereich hatte Ricoh bereits Anfang des Jahres mit der Übernahme von Axon Ivy investiert. Die Schweizer Firma bietet eine Plattform zur digitalen Prozessautomatisierung. Mit Low-Code/No-Code-Unterstützung hilft sie Kunden bei Automatisierung und Orchestrierung von Geschäftsprozessen. Auch die Übernahme von Docuware schon im Sommer 2019 war Teil dieser Strategie und dieser Neuaufstellung der Drucker- und Kopierersparte von Ricoh.
Mit PFU steckt Ricoh einen größeren Claim ab
Warum jetzt aber PFU? Ein Grund ist wahrscheinlich, weil sich Fujitsu nach einem Käufer umgesehen hat. Das Unternehmen verkaufte in den vergangenen Jahren einige Bereiche, in denen es ins Hintertreffen geraten war und die es nicht mehr zu seinen Kernkompetenzen zählte. PFU führte ohnehin schon unter eigener Marke ein Eigenleben, da war der Schritt zum Verkauf nicht weit.
Die Übernahme ist aber mehr als eine Gefälligkeit unter japanischen Konzernen. Schließlich boomt das Geschäft mit Dokumentenscannern seit der Pandemie geradezu. Auch PFU. Mitbewerber wie Brother und Avision berichten von beeindruckenden Zuwachsraten in diesem Segment. Das wird natürlich nicht so bleiben: Die Digitalisierung frisst ihre eigenen Kinder, irgendwann sind alle Altakten digitalisiert, der Eingang neuer Papierdokumente wird immer weniger.
Fujitsus Verkaufsgründe
Für Fujitsu waren die PFU-Anteile daher langfristig uninteressant. Wenn man verkaufen wollte, musste man jetzt verkaufen, wo das Scanner-Geschäft gut läuft und der Markt wächst, nicht erst dann, wenn sich die Anbieter um die letzten Aufträge für Ersatzbeschaffungen balgen.
Warum kauft Ricoh aber gerade jetzt zu? Wahrscheinlich erhofft sich der Konzern einerseits, dass die PFU-Kunden, die ja den ersten Schritt zu digitalen Workflows bereits gemacht haben, auch Ricoh-Kunden für alle weiteren werden. Andererseits ist die beste Zeit für Scanner-Anbieter eben jetzt. Unternehmen machen sich jetzt mit der Anschaffung von Dokumentenscannern auf den Weg, um vollständige digitale Workflows zu etablieren. Wer sie vom ersten Schritt an begleiten kann, hat gute Aussichten, auch bei allen weiteren Schritten dabei zu sein.
Ricoh braucht PFU also wahrscheinlich nicht wegen der Technologie, sondern um jetzt, während des Goldrausches im Scanner-Business, einen größeren Claim abzustecken. Unter diesem Gesichtspunkt sind die rund 600 Millionen Euro, die als Kaufpreis für PFU genannt wurden, das damit zu einer konsolidierten Tochtergesellschaft von Ricoh wird, nicht nur ein Investition in die Zukunft, sondern ein wahres Schnäppchen. Ein Scan-Schnäppchen sozusagen, um diese Betrachtungen mit der Erklärung des Wortwitzes zur PFU-Marke »ScanSnap« abzuschließen.