Abbyy verlagert Entwicklung aus der Ukraine nach Litauen

Der Krieg in der Ukraine führt einerseits zu Sanktionen gegen russische Firmen, andererseits aber auch zu erheblichen Problemen für Firmen, die Standorte in der Ukraine haben. ABBYY gehört zu letzteren und hat sich jetzt entschieden, seine bisher in der ukrainischen Hauptstadt Kiew beschäftigten Mitarbeiter nach Vilnius zu evakuieren. In einem neu eingerichteten Büro in der litauischen Hauptstadt werden sie zusammen mit neu eingestellten lokalen Kräften weiterarbeiten. Insgesamt sind dort zunächst rund 100 Personen beschäftigt.

Das neu bezogene »Intelligent Automation Engineering Center« ist die 15. Niederlassung des Unternehmens. Sie ergänzt die bereits in anderen europäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten vorhandenen technischen Ressourcen. Aus der neuen Niederlassung in Litauen werden Kundensupport, Professional Services und Customer Success Management geleistet, aber auch Schulungen angeboten.

 Langfristiger Ausbau des neuen Standorts geplant 

»Mit der Eröffnung eines kundenorientierten Engineering Centers in der pulsierenden, technikbegeisterten Stadt Vilnius erreichen wir zwei Ziele: die Stärkung des Kundensupports für unsere branchenführenden intelligenten Prozessautomatisierungslösungen auf hohem Niveau und die sichere Verlagerung ukrainischer Mitarbeiter nach Litauen«, erklärt Ulf Persson, CEO von Abbyy. Darüber hinaus kündigt er an: »Als wachsendes globales Unternehmen werden wir weiterhin in unsere technische und personelle Infrastruktur investieren, um den größtmöglichen Erfolg für unsere Kunden zu gewährleisten.«

Inwieweit die umgesiedelten Angestellten ihre Familien mitnehmen konnten, will Abbyy aus Rücksicht auf deren Privatsphäre und zu deren Schutz nicht kommentieren. Das Unternehmen versichert auf Anfrage, dass sich für Kunden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nichts ändern wird. Sie dürften sich beim Support auf eine gleichbleibend hohe Qualität verlassen. Außerdem plant Abbyy, den Standort in Litauen mit weiteren neuen Kräften noch auszubauen.

Vilnius interessanter Standort für Software-Entwicklung

Auch wenn die Entscheidung, einen neuen Standort aufzubauen, durch den Krieg erzwungen wurde, bietet Litauen interessante Entwicklungsmöglichkeiten für Technologiefirmen. 2021 belegte Vilnius bei den European Capital of Innovation Awards den dritten Platz. Sieger war Dortmund, auf dem geteilten zweiten Platz rangierten Malaga und Dublin. Bereits 2019 zeichnete die Financial Times Vilnius mit dem ersten Platz in ihrem Foreign Direct Investment Index aus.

Die litauische Hauptstadt setzte sich bei dem auf den Fin-Tech-Bereich fokussierten Ranking gegen Singapur, Tel Aviv, Berlin und London durch. Der Index misst die ausländischen Investitionen in neue Unternehmen in den Bereichen Software und IT-Services und setzt die zur Zahl der Einwohner in Beziehung. Dabei konnte London zwar die größte Zahl an Projekten vorweisen, kam aber beim Wert pro Einwohner nur auf einen Index-Wert von 0,875, während der bei Vilnius bei 1,006 lag.

Offiziellen litauischen Angaben zufolge gab es 2020 in Litauen 230 FinTech-Start-ups mit, über 4.000 Mitarbeitern. Damit gab es in Litauen mehr lizensierte FinTech-Start-ups als in jedem anderen EU-Land. Die Firmen habe ihren Sitz vor allem in der Hauptstadt. Das Umfeld für Software-Firmen ist also insgesamt gut. Das hat übrigens nicht nur Abbyy bemerkt, auch Firmen wie Google, Uber oder Rocket Software, ein auf IBM Z, IBM Power sowie Datenbanken und Applikationen in diesem Umfeld spezialisiertes US-Unternehmen, nutzen die Standortvorteile. Rocket Software plant in Litauen etwa 200 Personen zu beschäftigen, fast ein Siebtel seiner weltweiten Belegschaft.

Abbyy heute eine weltweite Firma

Abbyy wurde 1989 von Jan David Evgenievich, der sich heute David Yang nennt, als dieser am Moscow Institute of Physics and Technology (MITP) studierte, als BIT Software gegründet. Heute ist Abbyy jedoch ein internationales Unternehmen. Die Firmenzentrale befindet sich in Charlotte, im US-Bundesstaat North Carolina. Für das Geschäft in Deutschland ist die Abbyy Europe GmbH in München zuständig. Ein Entwicklungszentrum betreibt das Unternehmen bereits in Ungarn, weitere Entwickler arbeiten schwerpunktmäßig aus Deutschland und den USA. Wie viele Software-Anbieter nutzt aber auch Abbyy die Möglichkeiten, verteilt arbeitender Teams – in dem Fall vor allem aus europäischen Ländern – um qualifizierte Fachkräfte da abzuholen, wo sie vorhanden sind.