Onlinezugangsgesetz: Die Verwaltung bewegt sich doch
Nur einen kleinen Bruchteil der Projekte umgesetzt, die 2017 selbst auferlegte Frist grandios verfehlt, und immer schlechtere Noten im internationalen Vergleich: Die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland kommt schlecht voran. Dennoch gibt es trotz der allgemeinen Misere viele gute und erfolgreiche Projekte.
Ziel deutlich verfehlt
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Die Bemühungen zur Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen haben keine gute Presse: 2017 wurde beschlossen, dass die Bundesländer bis Ende 2022 Zeit haben, um 575 Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren und online anzubieten. Im Mai 2022 musste man dann zugeben, dass man von diesem Ziel weit entfernt ist. Um überhaupt ein Erfolgserlebnis zu haben, wurde es daher korrigiert. Bis Ende des Jahres sollten immerhin 35 »besonders relevante« Verwaltungsdienstleistungen online nutzbar sein. Dazu gehörten häufig angefragte Dienstleistungen wie die Anmeldung eines Wohnsitzes, das Ausstellen einer Meldebescheinigung, die Beantragung eines neuen Personalausweises, die An- und Ummeldung eines Kraftfahrzeuges und eine Eheschließung.
Ende 2022 stand jedoch fest: Peter Altmaier, der 2017 Kanzleramtsminister war, und »zwölf Flaschen guten Grauburgunder« darauf wettete, dass Deutschland mit dem Gesetz in der gesetzten Frist »die bürgerfreundlichste und anwenderfreundlichste Verwaltung Europas«, bekommt, hatte seine Wette verloren. Das hat er auch eingeräumt. Den Bürgerinnen und Bürgern wäre es aber wohl lieber gewesen, er hätte gewonnen. Und der Frust darüber, dass das Land die mit dem Onlinezugangsgesetz sich selbst auferlegte Verpflichtung nicht erfüllt hat, war groß.
Harsche Kritik des Normenkontrollrats
In seinem Jahresbericht 2022 stellt der Nationale Normenkontrollrat (NRK) nüchtern fest: Kurz vor Ende der Umsetzungsfrist (am 5.10.2022) standen lediglich 33 von 575 Verwaltungsleistungen flächendeckend wie geplant zur Verfügung. Davon waren 29 Bundesleistungen, die ohnehin »flächendeckend« verfügbar sind. Dass bis Jahresende 2022 noch acht Leistung, vor allem im Bereich Bildung und Erziehung, hinzukamen, rettete die katastrophale Bilanz nicht.
Wie vielfältig und schon im Detail komplex die Aufgaben sind, zeigt eine Meldung des IT-Dienstleisters Materna. Der hatte daran mitgewirkt, für das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie einen digitalen Antrag zur Vermessung von Sportbooten einzurichten. Das geht nun entweder über das Nutzerkonto Bund oder über »Mein Unternehmenskonto« in »ELSTER«.
»Die Verwaltung hat sich auf den Weg gemacht. Strukturen wurden geschaffen, Projekte aufgesetzt, ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern verabredet. Konkrete, für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Verwaltungen greifbare Ergebnisse sind jedoch erst in Ansätzen zu erkennen«, so das Fazit des Normenkontrollrats.
Dabei hat man durchaus gute Ansätze verfolgt. Mit dem Prinzip »Einer-für-Alle/Viele« und einem zusätzlichen Konjunkturpaket sollte etwa dafür gesorgt werden, dass Leistungen jeweils nur einmal entwickelt und dann von allen anderen verwendet werden können.
Blick ins Dashboard zur Digitalisierung der Verwaltung
Dem vom Bundesinnenministerium betriebenen Online-Dashboard mit einem Überblick zum Stand der Umsetzung beim Onlinezugangsgesetz zufolge war die erste überhaupt umgesetzte Leistung im September 2019 die Mutterschutzmeldung. Außerdem finden sich dort Karten, die dokumentieren, wie die einzelnen Bundesländer und Landkreise mit der Digitalisierung vorankommen. Spitzenreiter sind demnach die Kreise Hamm (287 Leistungen) und Krefeld (272 Leistungen), sowie bei den Bundesländern Bayern (181 flächendeckend verfügbare Leistungen) und Hessen (175 Leistungen). Die niedrigsten Werte weisen das Saarland (108 Leistungen) und Sachsen-Anhalt (111 Leistungen) auf.
Der von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kürzlich vorgelegte Entwurf für ein neues Gesetz zur Digitalisierung der Verwaltung (Onlinezugangsgesetz 2.0) sieht keine Fristen mehr vor. Vielmehr soll zugunsten einer »Schwerpunktsetzung und begleitenden Evaluierung« auf eine generelle Umsetzungsfrist verzichtet werden.
Kritiker fürchten, durch diese lasche Haltung verliere Deutschland noch mehr an Boden. Im Vergleich der EU-Staaten im Rahmen des von der EU-Kommission erstellten Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) ist es zuletzt bereits von einem ohnehin nicht zufriedenstellenden Platz 11 im Jahr 2021 noch auf Platz 13 im Jahr 2022 abgerutscht.
Es gibt auch gute Nachrichten
Beim Blick auf die Digitalisierung der Verwaltung nur auf die Leistungen des Onlinezugangsgesetzes zu schauen, wäre aber falsch. Zum Beispiel berichtet die MACH AG aus Lübeck, dass sie auch 2022 Einrichtungen auf Bundes- und Landesebene, im Kommunalbereich sowie in Hochschulen und Kirchen erfolgreich dabei unterstützt habe, ihr Finanzmanagement zu modernisieren, Rechnungs- und Beschaffungsprozesse zu digitalisieren und ein intelligentes Berichtswesen zu etablieren.
Mit der Einführung der E-Beschaffung im Bund und dem Betrieb aus der Cloud sieht der Dienstleister die nächsten große Themen bereits auf die Verwaltung zukommen. Umso ärgerlicher, dass die Pflichtaufgabe Onlinezugangsgesetz nicht wie geplant abgeschlossen wurde.
»In Zeiten von Fachkräftemangel und multiplen Krisen müssen sich Staat und Verwaltung effizienter, leistungsfähiger, zukunftssicher und krisenfest aufstellen«, sagt Matthias Kohlhardt, der seit April 2022 Vorstandsvorsitzender des ERP-Software-Spezialisten ist. Nach neun Monaten im Amt sagt Kohlhardt: »Ich fühle die Verantwortung für ein Unternehmen, das sozusagen zum Betriebssystem der Bundesrepublik Deutschland gehört.« Rund 50 Prozent der Kassenanweisungen des Bundes liefen über die ERP-Lösung und in mehr als 450 Landeseinrichtungen sei die Software im Einsatz.
2022 arbeitete das Unternehme an 180 Projekten und schloss davon 55 erfolgreich ab. Laut Kohlhardt setzten Verwaltungen bei der Digitalisierung der Kernprozesse nach der elektronischen Rechnungsbearbeitung den elektronischen Beschaffungsprozess um und verknüpfen damit digitale Rechnung und Beschaffung. 2023 will das Unternehmen gemeinsam mit dem Land Schleswig-Holstein prüfen, wie seine E-Verwaltungslösung als kommunales Fachverfahren im Rahmen der Deutschen Verwaltungscloud-Strategie zur Verfügung gestellt werden kann.
Zudem sei Automatisierung von Prozessen immer häufiger ein Thema für die Mach-Kunden. »Ich denke, das ist genau der richtige Weg, um sich von redundanten Routineaufgaben zu befreien und schließlich wieder mehr Zeit für beratungsintensive und komplexere Aufgaben zu haben«, erklärt Kohlhardt. 2022 hätten etwa die Bundespolizei, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Fachhochschule Aachen manuelle, redundante Arbeiten innerhalb ihrer Beschaffungs- oder Rechnungsworkflows automatisiert und so den Bearbeitungsaufwand reduziert.
Grundlagen der Digitalisierung gefragt
Bei der Bewertung der Fortschritte für das Onlinezugangsgesetz gibt es auch ein Reifegradmodell. Dessen erste Stufe ist die PDF-Datei. Was trivial erscheint ist aber ein wichtiger erster Schritt und oft der Einstieg in die bessere Organisation von Workflows und unverzichtbar für spätere Automatisierung.
Ein Großprojekt für Dokumentenmanagement startete das Land Hessen mit Fabasoft als Anbieter und Adesso und Eitco als Dienstleistern. Zunächst sollen alle rund 25.000 Büroarbeitsplätze der hessischen Landesverwaltung und danach weitere im Rahmen von Fachverfahren auf das DMS auf Basis der Fabasoft »eGov-Suite« zugreifen können. Teil des Projekts ist auch die Migration der Altdaten.
Hessen folgt damit dem Beispiel von Bayern, Rheinland-Pfalz sowie Mecklenburg-Vorpommern. In Bayern wurde die »Fabasoft eGov-Suite« bereits für über 50.000 Beschäftigte im Verwaltungsbereich und bei der Polizei eingeführt. In Rheinland-Pfalz sind alle Ministerien mit der Fabasoft eGov-Suite ausgestattet.
DMS als Einstieg in die Digitalisierung in der Verwaltung
Verwaltung wird zu Recht mit einer Vielzahl papierbasierender Prozesse assoziiert. Überkommene Strukturen sind ein Grund dafür, die Anforderung, mit einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Kontakte (Firmen, Bürger, andere Verwaltungseinrichtungen) zu kommunizieren und die Tatsache, dass ein riesiger Berg an Papierdokumenten aus dem Archiv fest zum Arbeitsalltag gehören, sind aber auch nicht zu vernachlässigen. DMS-Projekte sind deshalb nicht nur für die Anbieter interessant, sondern versprechen auch einen hohen Nutzen – sind aber auch sensibel, da alle Beschäftigten mitgenommen werden müssen.
Bei Städten und Kommunen hat sich Optimal Systems mit seinem DMS »Enaio« gut etabliert. Laut Anbieter nutzen rund 650 Verwaltungen dieses digitale Dokumentenmanagement. Prominentere Referenzen sind etwa die Städte Oldenburg, Salzgitter und die Region Hannover. Überhaupt ist Niedersachsen eine Hochburg der Enaio-Nutzer: Über 100 Verwaltungen in dem Bundesland zählen zu den Anwendern. Als Plus und eine der Säulen des Erfolgs nennt das Unternehmen die vielen Schnittstellen zu Fachanwendungen, wie sie üblicherweise in Verwaltungen zum Einsatz kommen.
ELO Digital Office ist mit seinem DMS ebenfalls in einigen Stadtverwaltungen vertreten. Besonders die Vertriebspartner NetPlans IT-Systeme und n-komm waren damit erfolgreich. Sie haben etwa in Rheinland-Pfalz die Verbandsgemeinden Asbach, Gau-Algesheim, Göllheim, Kirner Land, Landau und Birkenfeld sowie die Stadt Idar-Oberstein und den Landkreis Kusel ausgestattet, in Baden-Württemberg die städtischen Mittelzentren Ellwangen und Ettlingen.
d.velop sieht ein Dokumentenmanagementsystem in der öffentlichen Verwaltung ebenfalls als ideale Basis für die Digitalisierung. Wie und wo die Kommunen anfangen, ist jedoch sehr unterschiedlich. Und auch Dvelop legt Wert auf die Integration von Fachverfahren in das DMS. Dafür gibt es inzwischen über 300 Integrationen.
Wobei Integrationen vielleicht eine falsche Vorstellung von der »Hackordnung« der Software untereinander gibt. Die bestehenden Fachverfahrensanwendungen würden stets uneingeschränkt als führende Komponenten eingestuft. Das nachgelagerte DMS mit seinen Aktenbildungsfunktionen und der Möglichkeit der vorgangsbezogenen Dokumentenablage werden darauf abgestimmt. Dvelop zeigt aber auch auf, wie das DMS dabei hilft, durch eine Portalanbindung die Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes umzusetzen, und etwa Anträge digital empfangen, archivieren, bearbeiten und weiterleiten zu können.
Als Referenzen nennt Dvelop unter anderem die Städte Ahaus, Marburg, Osnabrück, Paderborn und Bad Rappenau, den Reinisch-Bergischen Kreis, den Landkreis Ansbach sowie den Kreis Borken. Aber auch das Schulwerk der Diözese Augsburg, die FH Münster und der Wasserversorgungsverband Tecklenburger Land gehören dazu. Insgesamt kann der Anbieter auf über 350 Kommunalverwaltungen, 100 Kreise und kreisfreie Städte sowie mehr als 70 andere Behörden als Kunden verweisen.
Auch wenn die mit dem Onlinezugangsgesetz gesetzten Ziele also weit verfehlt wurden, gibt es viele gute und interessante Ansätze für die Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung. Darauf könnte man dann sogar mit einem Grauburgunder mit Peter Altmaier anstoßen – wenn man damals die Gelegenheit gehabt hätte, bei der Wette dagegenzuhalten.
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